In den letzten Wochen und Monaten gab es immer wieder Diskussionen über neue Gesetze zur Terrorismusbekämpfung und mittlerweile frage ich mich, wie fragil unsere freiheitliche Grundordnung denn sei, wenn man sie mit totalitär anmutenden Mitteln angeblich zu schützen habe. Sicher ist es zynisch, aber bei mir schleicht sich manchmal der Eindruck ein, daß unser Innenminister über die Bevölkerung die Kontrolle haben möchte, die er über seinen Körper nicht mehr hat.
Vor 30 Jahren, die Zeitungen sind ja zur Zeit voll davon, hatten wir wirklich realen Terrorismus in unserem Land. Die jüngeren unter Euch können sich natürlich nicht daran erinnern, aber ich weiß noch genau, wie bedrückend es war, wenn man in eine Verkehrskontrolle geriet, bei der die Polizisten mit Maschinenpistolen im Anschlag neben einem standen. Trotzdem wäre damals niemand auch nur ansatzweise auf die Idee gekommen, den Behörden so weitreichende Befugnisse zu geben, wie sie heute ganz selbstverständlich gefordert werden. Dabei haben wir zur Zeit zwar eine halbwegs reale Terrorismusgefahr, wirkliche Anschlagserien wie bei der RAF hat es jetzt noch nicht gegeben. Wir zerstören statt dessen von innen her das, was wir nach außen hin (angeblich) schützen wollen: unsere Freiheit. Ein Paradoxum.
Ich bin sicher, daß sich die Verantwortlichen des islamisch-verblendeten Terrorismus‘ totlachen über das, was wir hier im „freien“ Westen freiwillig mit unser Demokratie, mit unseren Grundwerten anstellen. Jedes Gesetz, das wir hier zur Einschränkung der persönlichen Rechte erlassen, ist ein Gewinn der islamischen Fanatiker, ohne daß die auch nur einen Finger gekrümmt haben. Statt Sicherheit und Vertrauen in das eigene System auszustrahlen, demontiert die Politik mit immer hektischeren Aktionen die Grundlage der Demokratie.
Vielleicht ist es mit politischen Systemen wie mit allem: nach darwinscher Überlegung überlebt nur der Stärkere. Und wenn sich die Demokratie, die Freiheit des Einzelnen, einem totalitären System als unterlegen erwiese — es wäre schade. Wir sind auf dem besten Wege dahin.
Nachtrag: es ist jetzt vielleicht ein wenig weit hergeholt, aber vor zehn Tagen sagte Michy Reincke während eines Interviews auf die Frage, ob er nach all den Jahren denn noch Lampenfieber vor Auftritten habe: „Ich weiß, daß es keine Sicherheit gibt auf der Bühne; es wird immer ein wenig anders, als man sich das vorstellt. Und darum ist es auch Unsinn, unsicher zu sein. Weil es eben keine Sicherheit gibt.“ Die Erkenntnis ist bestechend und darüber sollte auch mal Herr Schäuble (der in anderen Blogs (1, 2) schon Stasi 2.0 genannt wird) nachdenken. Völlig egal was ein Staat anstellt, er wird die Sicherheit seiner Bürger niemals garantieren, sondern nur die Phantasie der Terroristen herausfordern können. Der ganze Aufwand, die Beschneidung der bürgerlichen Grundrechte sind für überhaupt nichts geopfert, weil es einfach keine Sicherheit geben kann. Nur Allmachtsphantasien. Und gegen letztere sollten wir uns wehren. Gerade hier in Deutschland wissen wir, wohin Allmachtsphantasien und Überwachungsstaaten führen können. Das hatten wir erst von 1933 bis 1989.