Astrid Lindgren: „Ur – Pippi“

Astrid Lindgren:

Ich glaube, daß es niemanden gibt, der ohne Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstocher Langstrumpf aufgewachsen ist. Und wenn doch, so sei derjenige stark zu bedauern. Bis zu dem Mädchen, das wir alle kennen war es jedoch ein längerer Weg; ursprünglich existierte Pippi nur als gesprochenes Wort, als Gutenachtgeschichte. Astrid Lindgrens Tochter Karin ist sich gar nicht sicher, ob sie sich wirklich über die in geschriebenes Wort eingesperrte Version gefreut hat, die sie 1944 zum 10. Geburtstag geschenkt bekam. Und auch die Mutter war sich wohl nicht sicher, ob ihre Erzählung nicht vielleicht doch etwas zu rau geraten war; schrieb sie doch dem Verlag, dem sie ihr Manuskript zuschickte:

„Ich gestatte mir, beiliegend ein Kinderbuchmanuskript zu übersenden, dessen Rücksendung ich voller Zuversicht demnächst erwarte.

Pippi Langstrumpf ist, wie Sie feststellen werden, falls Sie sich die Mühe machen, das Manuskript zu lesen, ein kleiner Übermensch in kindlicher Gestalt. angesiedelt in einem ganz normalen Umfeld. Dank ihrer übernatürlichen Körperkräfte und sonstiger Umstände ist sie völlig unabhängig von den Erwachsenen und lebt ihr Leben ganz so, wie es ihr beliebt. Bei Ihren Auseinandersetzungen mit erwachsenen Personen behält sie stets das letzte Wort. […]

Um mich zu überzeugen, wie es sich damit verhält, lege ich das Manuskript hiermit in Ihre sachkundigen Hände und kann nur hoffen, daß Sie nicht das Jugendamt alamieren. Sicherheitshalber sollte ich vielleicht darauf hinweisen, daß meine eigenen unglaublich wohlerzogenen, engelsgleichen Kinder keinerlei Schaden durch Pippis Verhalten genommen haben. Sie haben sofort verstanden, daß Pippi ein Einzelfall ist, der normalen Kindern kein Vorbild sein kann.“

Tatsächlich wurde das Werk abgelehnt; sicher beißen sich die Verantwortlichen dafür heute noch in ihren Allerwertesten, verloren sie Astrid Lindgren doch damit für immer. Die Ablehnung nahm Lindgren jedoch als Ansporn; sie überarbeitete das Skript und erschuf die Pippi, wie wir sie heute kennen. Allen, die sich mal die freche Originalversion ansehen möchten (wobei mit heutigen Augen betrachtet der Unterschied nicht sooooo unverschämt ist, wie das in den 40ern empfunden wurde), kann ich das Buch sehr empfehlen. Letztlich tat die Überarbeitung meiner Meinung nach dem Werk tatsächlich gut, schaffte Lindgren doch damit den Schritt, tatsächlich ein Vorbild für Selbstständigkeit und eine Grundlage für viele Kinderträume zu schaffen.

Geschenktips für den Livemusikjunkie

Malcolm Croft: The little red riders book

Ganz plötzlich und gänzlich ohne Vorwarnung steht schon wieder Weihnachten vor der Tür und natürlich weiß man wieder nicht, was man denn verdammt jetzt so schnell seinen Liebsten schenken soll. Nun. Da ich ja eben schon eine musikalische Kaufempfehlung gab, warum nicht auch Tips für den musikinteressierten Leser. Also möchte ich Euch zwei Bücher von Malcom Croft vorstellen, die dem echten Livemusikfan ein wahrer Quell an Unterhaltung und Information sein werden.

The little red riders book“ ist eine Sammlung von Zitaten aus den Ridern der Stars. So erfährt man, daß Geri Halliwell und Led Zeppelin die gleichen Wünsche haben („iron & ironing board“), daß auch Marilyn Manson („a bald hooker with no teeth“), James Brown („2 girls under the age of 21“) und Sammy Davis jr. („Assortment of groovy chicks“) nicht so weit auseinanderliegen, daß Jazzer durstig sind (Jamie Cullum: „20 bottles of Moet & Chandon, 20 bottles of lager, 12 bottles of still mineral water, 4 cans of Guinness, 1 bottle of red wine, 1 bottle of white wine, 1/2 bottle of Myers Rum, ice (must have no straight edges)“), Rocker verspielt (Motörhead: „Kinder Surprise chocolate eggs“), Popstars empfindsam (Robbie Williams: „soft toilet paper“) und Madonnen … nun ja (Madonna: „new toilet seat, 25 cases of Kabbalah water“).

Malcolm Croft: The little black book of setlists

The little black book of setlists“ eignet sich hervorragend für alle, die mitreden wollen, wenn es um die geilsten Konzerte der letzten 60 Jahre geht und die natürlich damals mit dabei waren. Hier kann man mal eben die Setlists (also die Liste der gespielten Songs) mit kurzen Kommentaren zu den Konzerten seiner Idole nachlesen — oder sich einfach mal informieren. Dabei geht die Spannweite des chronologisch aufgebauten Buchs von Woody Guthrie am 22.03.1940 bis George Michael am 09.06.2007.

Stage Design

Cover des Buchs

Seit kurzem ist der im daab – Verlag erschienene Photoband Stage Design von Ralph Larmann im Handel. Ich habe mir länger überlegt, ob ich ihn mir kaufen soll, mich dafür entschieden und bereue meine Entscheidung nicht. Nirgends anders hat man die Chance auf knapp 400 Seiten ultrakompakt und wirklich umwerfend photographiert die aktuellen Großproduktionen incl. der Sommer – OpenAirs 2007 zu sehen. Theater, Oper, Musicals, Konzerte, TV – Shows und Special Events werden in diesem Buch behandelt und es ist erstaunlich, mit welcher Akribie und welchem hervorragenden Blickwinkel die Produktionen vorgestellt werden. Allen Berufskollegen sei dieses Buch empfohlen — und allen, die sich für Bühnendesign interessieren und 49,00€ investieren können, auch.

Land in Sicht

Hochzeitphoto und Cover des Buches; Copyright: Scherz Verlag

In den letzten drei Tagen las ich das Buch „Wohin Du auch gehst“, das mich sehr nachdenklich machte und darum möchte ich Euch davon berichten. Benjamin Prüfer, der zwei Häuser weiter wohnt und „fast“ mein Schwager ist, schrieb vor einiger Zeit einen Artikel in der Neon. Es war nicht irgendein x-beliebiger Artikel, sondern gewissermaßen sein ComingOut. Nicht als Schwuler, sondern als jemand, der sich verliebt hat. In eine kambotschanische Prostituierte mit HIV. Ich kannte ihn damals noch nicht, las den Artikel, dachte „kraß“ oder irgendsowas in der Richtung und blätterte weiter. Sehr wahrscheinlich hätte ich das gerade erschienene Buch auch nicht gelesen, hätte ich nicht zwischenzeitlich seine Schwester kennengelernt. Der Klappentext klingt einfach zu sehr nach Frauenroman. Dabei ist das Buch genau das nicht. Es enthält keine leicht lesbare Romantik. Es enthält Leben. Uberlebenskampf. Gedanken. Verzweiflung. Und auch viel Hoffnung.

Vor allem enthält das Buch zwischen den Zeilen sehr viele Gedanken über Verantwortung. In einer westlichen Welt Beziehungsprobleme nicht mit Trennung zu lösen, sondern damit, daß man sich diesen Problemen stellt, ist ja ein wenig aus der Mode gekommen. Doch genau das tat und tut Benjamin. Er ließ das Mädel nicht allein in Kambotscha zurück, flog nicht nach Hause und vergaß sie. Er stellte sich diesem Gefühl, der Verantwortung, der Liebe. Über die Zeit des ersten Kennenlernens bis zum ersten gemeinsamen Flug nach Deutschland handelt das Buch und es ist hervorragend zu lesen. Weil es in toller Sprache und wirklich ehrlich geschrieben ist. Weil es nichts beschönt und nichts vereinfacht. Und weil es anregt, über seine eigenen Standpunkte nachzudenken. Über seine eigene Abgestumpftheit, Faulheit.

Als ich Sreykeo und Benjamin in den letzten Monaten kennenlernte dachte ich im Stillen, daß ich den Zweien nicht allzulange gebe. Nicht wegen der Krankheit, sondern wegen des unterschiedlichen Intellekts. Nachdem ich nun das Buch las weiß ich, daß das bornierte Gedanken waren, daß es eine viel tiefere Verbindung zwischen ihnen gibt und vor allem, daß ich Benjamin maßlos unterschätzte. Da muß ich mich verschämt verneigen.

Und so kann ich Euch nur empfehlen: besorgt Euch das Buch, lest es und vor allem: laßt es an Euch heran. Wie es den beiden aktuell geht, könnt Ihr hier lesen; mittlerweile gibt es auch Möbel in der Wohnung ;-)

Zum Schluß möchte ich gewissermaßen als Leseprobe die letzte halbe Seite des Buches zitieren. Beide sitzen nach über drei Jahren zum ersten Mal gemeinsam im Flugzeug nach Deutschland, sie sind verheiratet, Sreykeo hat ein Visum.

Menschen denken in Geschichten. Jede Biographie vergleichen wir mit einem Film oder einem Buch, und dann kleben wir ein vorgefertigtes Etikett darauf und glauben, wir hätten sie begriffen. Für viele tragen Sreykeo und ich das Etikett „tragische, verzweifelte Liebe“; Geschichten, in denen die Abkürzung HIV vorkommt, können nur tragisch enden. Junge lernt ein Mädchen kennen. Sie hat AIDS. Sie leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Der Film ist aus. So was will doch keiner sehen. Das ist doch ein Scheißfilm.

Es scheint manchen Menschen, daß wir gegen ein ehernes Gesetz der Neuzeit verstoßen, weil wir uns weigern, uns auf Sreykeos baldigen Tod vorzubereiten. Es macht sie geradezu wütend, daß wir nicht vorhaben, ein Leben unter tragischen Vorzeichen zu führen und unser Unglück zu beklagen.

Sreykeo entdeckt gerade etwas Weißes an unserem Fenster. Sie hält es zuerst für Insekten. „No, that’s ice !“, sage ich zu ihr. Sie schaut mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Sie kennt Eis bisher nur in Würfelform. Na, die wird sich wundern.

Ich glaube, da unten warten eine ganze Menge Menschen darauf, daß unsere Geschichte das zu erwartende traurige Ende nimmt. Aber den Gefallen tun wir ihnen nicht.

Sollen sie warten.

frei zu haben ist auch sehr schön

So ein freier Tag ist wirklich herrlich. Auch wenn man ihn im Zweifelsfall zwischendurch bei einer befreundeten Produktion verbringt und ehrlicherweise auch nicht viel anderes macht als an Arbeitstagen. Aber es sind andere Gesichter, Abwechslung eben.

Auf der Zugfahrt nach Halle, wo es ja morgen weitergeht, das Buch „Fleisch ist mein Gemüse“ von Heinz Strunk gelesen, welches ich heute geschenkt bekommen hatte. Es ist schon interessant, wie sehr sich anscheinend die Welt der Partybands von der meinigen unterscheidet, obwohl wir ja erst mal in ähnlichen Wassern schwimmen. Die einzige Gemeinsamkeit scheint da teilweise die Hardware zu sein. Ein SM58 ist eben immer noch das weltweit am meisten eingesetzte Mikro, egal ob bei Tanzbands, Präsidentenreden, Punkbands, Revolutionsführern oder Popmusikern. Aber die Denke dahinter ist zumindest in diesem Fall eine ganz andere. Jedenfalls ist das Buch sehr unterhaltsam geschrieben, hat mich gut bis fast nach Halle gebracht und auf jeden Fall lesenswert.