Über Katastrophen und Katastrophen

Zur Zeit geht gerade die EU unter. Alle weiteren Nachrichten müssen dahinter zurückstecken. Griechenland ist pleite und für uns alle bedeutet das den Untergang des Abendlandes. Davor starb ganz Deutschland den EHEC – Tod. Davor … Moment mal, was war eigentlich davor ?  Das hat man ja schon fast wieder vergessen. Ach ja. Fukushima. Und dann ?  Puh. Keine Ahnung.

Täglich geht die Welt unter und vor lauter Untergangsszenarien kommen wir kaum noch mit. So lange, bis wir selbst betroffen sind. Also wirklich betroffen. Nicht, daß wir in die Apotheke rennen, um eine Großpackung Jodtabletten zu kaufen, weil in Japan Atomreaktoren explodiert sind. Oder weil wir auf die für kurze Zeit fast sprichwörtlichen Gurken, Salat, Tomaten verzichteten (um uns dann sagen zu lassen, daß das sowieso Quatsch war, weil es die Sprossen sind, die Unheil bringen). Nein, bis wir wirklich betroffen sind, ganz persönlich.

Interessant ist beispielsweise, daß wir, wenn wir an das Unglück in Japan denken, sofort die Atommeiler vor Augen haben. Wahrscheinlich, weil sie diese große Angst vor dem Unfaßbaren symbolisieren. Daß die Atomkatastrophe aber von einem Erdbeben mit Tsunami verursacht wurde, die viele tausend Menschen in den Tod rissen und Städte komplett verwüsteten, das ist ein wenig untergegangen. Klar, das haben wir drei Tage lang in den Nachrichten gesehen, aber dann wurden diese Bilder von den immer gleichen Hubschrauberrundflügen um Fukushima verdrängt.

Heute habe ich lange mit einem Freund telephoniert. Der war in Japan. In Oshika. In einer Stadt, die durch Beben und Tsunami komplett ausgelöscht wurde. Er hat dort seine schwangere Freundin verloren, konnte sie nicht festhalten, als eine riesige Schlammlawine auf die beiden zukam. Das ist jetzt drei Monate her, aber für ihn, für ihn ist es gerade erst passiert. Und er fühlt sich schuldig, weil er nicht die Kraft hatte, sich und die Freundin festzuhalten.

Ich glaube, daß wir oft dazu neigen, vor lauter Aufregung die eigentliche Katastrophe zu übersehen. Und daß wir ganz schnell abstumpfen und eine neue Katastrophe haben wollen.

Ich will mich davon gar nicht freisprechen, erinnere mich, daß ich vor 18 Jahren das Wort Sarajevo nicht mehr hören konnte. So lange, bis ich plötzlich mitbekam, was es bedeutet, wenn ein Freund abgeschossen wird.

Vor kurzem schon schrieb ich, daß sich unsere Gesellschaft zu einem Volk wild gackernder, aufgescheuchter Hühner entwickelt hat, die völlig kopflos umherrennen. Wir sollten ruhiger werden. Ruhiger und aufmerksamer. Den Liveticker im Rechner wegklicken. Und uns statt dessen um die Menschen um uns herum kümmern. Wir sollten wieder zu Menschen werden, zu ruhigen, besonnenen und mitfühlenden Menschen. Das würde uns alle viel weiterbringen.

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