So weit kein Auge reicht

Wie ja schon angekündigt war ich in der Ausstellung So weit kein Auge reicht der Berlinischen Galerie und direkt am Anfang kann ich sagen, daß ich diese Galerie begeistert verlassen habe.

Zwischen 1949 und 1952 schoß ein Photograph namens Tiedemann (der Vorname schon ist nicht belegt, es handelt sich vermutlich um Emil Tiedemann, einen Berufsphotographen) im Auftrag des Ostberliner Magistrats unzählige Photos in der Stadt als Bestandsaufnahme der Zerstörung, des Wiederaufbaus und der Bausubstanz. Diese Aufnahmen wurden fein säuberlich katalogisiert und wanderten dann ohne weitere Beachtung ins Archiv, welches nach der Wende in den Besitz der Berlinischen Galerie überging. Da wußte man lange Zeit auch nichts von dem Schatz im eigenen Keller, bis durch Arbeiten an einem anderen Projekt diese Bilder wieder zum Vorschein kamen.

Da lagen sie nun. Kontaktabzüge auf Karteikarten. Einige zu kurzen Panoramen zusammengeklebt, viele aber einzeln, nach Hausnummern sortiert. Erst wenn man sich einmal mehrere Karteikarten hintereinander anschaute konnte man erkennen, daß es ganze Straßenzüge als Abwicklung gab. Arwed Messmer setzte sich dann daran, die Mittelformatnegative aller dieser Einzelbilder zu scannen, sichten und sie mittels Photoshop manuell zusammenzufügen.

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Herausgekommen sind Bilder von unglaublichem Wert. Die Photos sind absolut sachlich, sie wurden für städtebauliche Zwecke erstellt und nicht zu Propagandazwecken. Jede Schönfärberei, jede Parteinahme schloß sich aus. Wir sehen heute die Stadt, wie sie zu Beginn der 50er tatsächlich war. Straßenzügelang. Daß Propaganda zu dieser Zeit durchaus üblich war, ist den Bildern auch zu entnehmen: an vielen Häusern hängen Plakate und Sprüche.

Durch die kongeniale Arbeit zweier Profis über fast 60 Jahre hinweg — der eine erstellte analytische Aufnahmen mit hoher Sorgfalt, der andere verarbeitete sie mit unglaublicher Geduld und moderner Technologie — entstanden Panoramen, die fesselnd sind. Die durch ihre ungestellte Alltäglichkeit eine Wucht entwickeln. Und die gerade dadurch eine bestechende Ästhetik haben.

Kunst durch reine Beherrschung des Handwerks.

Jedem, der die Gelegenheit dazu hat, möchte ich den Besuch der Ausstellung sehr ans Herz legen. 7,00€ Eintritt sind hier absolut gut angelegt. Für alle anderen empfielt sich das hervorragend gemachte Buch zur Ausstellung (So weit kein Auge reicht, Berliner Panoramafotografien aus den Jahren 1949-1952, Berlinische Galerie, Dumont Verlag, ISBN 978-3-832191-87-0) mit den Panoramen zum Ausklappen und vielen Erklärungen.

6 Gedanken zu „So weit kein Auge reicht“

  1. Vermutlich besonders für (Alt-, Ex-, Durchreise-, zugereiste) Berliner interessant. Faszinierend auf jeden Fall solche Fleißarbeiten.
    Aber was hatte es eigentlich mit der Freigabe Deiner Bilder auf sich?

    1. In der Ausstellung darf ausdrücklich nur für den privaten Gebrauch und nicht für eine Veröffentlichung photographiert werden. Die gezeigten Bilder unterliegen ja dem Urheberrecht. Da wird man freundlich, aber bestimmt drauf hingewiesen. Also habe ich meine Photos für den privaten Gebrauch geschossen und im Nachhinein zur Pressestelle geschickt, die sie mit Freuden freigab.

    2. Nebenher finde ich die Bilder auch für Nichtberliner interessant. Hättest Du gewußt, daß in Berlin noch 1952 die Bürgersteige voll mit Schutt waren ? Sie sind interessant, weil sie das Leben nach dem Krieg zeigen und wie langsam der Wiederaufbau doch ging.

  2. Heute morgen an die Ausstellung gedacht. Was anscheinend den nachhaltigsten Eindruck auf mich gemacht hat? Der Mann mit der Meßlatte, der auf diversen Fotografien zu sehen war. :-)

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