Reisen

Seit meinem Berlinaufenthalt am Wochenende muß ich ganz viel an vier Reisen denken, die ich in die DDR und später Ostdeutschland unternahm. Ich erzählte hier ja schon, daß ich mal Optiker war. Kaum war die Mauer gefallen, da las ich, daß es im Dezember 1989 eine Kontaktlinsentagung der ostdeutschen Augenoptiker in Berlin geben solle. Ich fuhr hin. Ich hatte gehört, daß sie in der Anpassung von harten Linsen sehr gut waren; schon deshalb, weil es kaum vernünftige Materialien gab und sie tatsächlich in der täglichen Praxis auch selbst Linsen schliffen und bevelten (den Rand bearbeiteten). Im Westen machte das kein Mensch mehr; man änderte nicht, man bestellte neu.

Die Tagung fand ich dann etwas unangenehm. Von knapp 200 Teilnehmern war ich der einzige Westler. Ich wurde mit ganz vielen Fragen bestürmt, alle wollten etwas von mir wissen, dabei war ich doch gekommen, um vom Osten zu lernen. Eine absurde Situation.

Weil ich kaum Geld hatte, wohnte ich im Christlichen Hospiz auf der Augustastraße und lief dann die Oranienburger in Richtung Alex, wo der Kongress war. Leute, die das Gebiet nur von heute kennen, werden mir nicht glauben, daß es damals dort aussah, wie nach dem Krieg. Auch war die S-Bahn – Station Oranienburger Straße noch gesperrt. Ich machte ein paar Photos und wieder zuhause reifte zusammen mit einem Kollegen ganz schnell die Idee, mal eine Woche quer durch die DDR zu fahren. Im Januar 1990 fuhren wir und waren fasziniert & geschockt. So nette, offene Menschen. So alte, zerfallene Städte.

Diese Reise wiederholte ich zwei Mal. Im Januar 1995 und im Januar 2000. Interessant zu sehen, wie sich anfänglich die Städte massiv änderten und die Dörfer abgesehen von plötzlich wachsenden Satelitenschüsseln nicht. Heute ist in Dresden am Neumarkt ein ganzes zerbombtes Viertel neu entstanden. Plötzlich stehen wieder Gründerzeithäuser, wo vorher nur Schutt lag. Aber egal ob Stadt oder Land: die Menschen änderten sich überall gleich. Die Offenheit verschwand.

Ich habe gerade nicht die Ruhe, alte Photos herauszukramen, werde das aber in den nächsten Tagen nachholen. Zufälligerweise lese ich auch gerade ein Buch, daß sich mit einem ganz ähnlichen Phänomen befaßt: ein Roman über die Masuren. Komische Zeit gerade.

3 Gedanken zu „Reisen“

  1. Auf die Bilder bin ich sehr neugierig. Ich wohne zwar (jetzt) in Berlin, finde es aber immer enorm schwer, mir vorzustellen, wie die Stadt zur Zeit des Amuerfalls aussah.

    Außerdem eine gute Gelegenheit mal allgemein das Blog zu loben. Ich lese wirklich gerne mit und freue mich über die Einblicke in eine etwas andere Welt …

  2. Ich hatte kurz nach der Wende das Vergnügen, mit dem Lkw fast jede Woche in die neuen Bundesländer zu fahren. Meistens mit Holz beladen, für irgendwelche „Baumärkte“. Das waren damals teilweise noch etwas grössere Garagen, und der Chef kam auch schonmal Abends um 21 Uhr noch im Pyjama und Bademantel raus, um sich auf den Stapler zu setzen und abzuladen.

    Es dauerte aber nicht lange, dann waren die Westkonzerne dort und die kleinen Händler waren plötzlich Marktleiter oder Warenannehmer.

    Und genauso schnell auch genauso arrogant wie viele ihrer Kollegen im Westen. :(

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