Sieg der Intoleranz

Nun ist der Brexit beschlossen und ehrlicherweise ergeben sich nun deutlich mehr Fragen als zuvor. In erster Linie halte ich den Austritt des Vereinigten Königreichs für eine große Dummheit. Und das direkt aus einem ganzen Strauß von Gründen. Ja, natürlich, die EU bedarf ganz dringend grundlegender Reformen, das steht völlig außer Zweifel. Nur an der Gestaltung dieser Reformen hat Großbritannien nun keinerlei Mitwirkung mehr. Das Land ist in dieser Hinsicht zu einem zahnlosen Tiger, zu einer Lame Duck geworden.

Wenn man sich die Geschichte Europas anschaut, dann blickt man in eine wilde Abfolge von Kriegen und Verschwörungen. Erst der aufkommende europäische Gedanke schaffte es, in Kerneuropa seit nun über 70 Jahren tatsächlich so etwas wie Frieden entstehen zu lassen. Diese politische Stabilität war nach Zerfall Ost- und Südosteuropas so attraktiv, daß sich auch Länder von dort der EU anschlossen, obwohl sie doch zuvor Teil des gegnerischen Lagers gewesen waren. Die Trennung der UK von Europa ist ein erster Schritt in eine Zersplitterung des europäischen Gedankens und ein klares Zeichen zu mehr Nationalismus. Rechte Kräfte in vielen Staaten schauen genau zu und haben nun Hoffnung geschöpft, daß ihr nationalistisches Ziel auch in ihrem Land Erfolg haben könnte.

Darüber hinaus geht nun ein tiefer Graben auch durch Großbritannien selbst. Schottland und Nordirland haben deutlich für den Verbleib in der EU gestimmt und Bestrebungen, Großbritannien zu verlassen gibt es dort schon lange. Diese Absetzgedanken kochen nun dort wieder auf, jetzt auch mit der Begründung, die EU nicht verlassen zu wollen. In den nächsten Monaten ist also mit Volksabstimmungen über den Splitt vom Königreich zu rechnen. Ein Paradoxum: den Staat zu verlassen, um in der großen Gemeinschaft der EU bleiben zu können.

Am bedeutendsten finde ich allerdings den Riß durch die Generationen. Diejenigen, um deren Zukunft es geht, haben klar und mit deutlichem Abstand für den Verbleib in der EU gestimmt; die alten Säcke, wie überall in Europa in der Mehrheit, stimmten für den Splitt. Dabei sind die Alten vielleicht auch den Lügen aufgesessen, daß die 350 Millionen Euro (eine gefälschte Zahl, die bei weitem nicht stimmt), die die UK wöchentlich an die EU überweise, dann in das in England tatsächlich völlig marode Gesundheitssystem fließen könne. Übrigens eine Wahlbehauptung, die direkt nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse relativiert wurde: nunja, das könne man natürlich noch nicht versprechen, bla.

Glaubt tatsächlich jemand im Ernst, daß in einer wirtschaftlich immer mehr zusammenwachsenden Welt Einzelstaaten besser aufgestellt sind, als Gemeinschaften ?  Glaubt auf der Insel tatsächlich jemand wirklich, daß das Vereinigte Königreich allein besser geben China, Indien, USA und, nun ja, jetzt auch Europa bestehen kann ?  Großbritannien hatte bislang innerhalb der Gemeinschaft schon einen ganz besondere Status; es wurden Extrawürste in einer Größenordnung gebraten, mit der man an diesem Wochenende ganze Stadtfeste versorgen kann. Bildet sich jemand aus dem Brexit – Lager allen Ernstes ein, bei den Assoziierungsverhandlungen — denn darauf wird es ja hinauslaufen — noch mehr Sonderregeln herausschlagen zu können ?  Nur zum Vergleich: Norwegen, mit dem die EU ein Assoziierungsabkommen hat, zahlt dafür pro Kopf zur Zeit mehr, als Großbritannien als Vollmitglied zahlt. Nicht besser sieht es für die Schweiz aus.

UKIP, als antreibende Kraft hinter dem Brexit, hat ihrem eigenen Staat und dem europäischen Gedanken einen Bärendienst erwiesen und ich hoffe, daß diese Partei den Preis dafür bei kommenden Wahlen noch zu zahlen hat. Darüber hinaus hoffe ich, daß Europa an sich mittelfristig nicht wieder in Kleinstaaterei und Unfrieden zerfällt, sondern die EU nun diese Entscheidung nutzt, um sich selbst zu erneuern.