Spargel auf dem Dach

Manchmal wecken zufällige Geräusche Erinnerungen, die lange verschüttet waren. So eine defekte U-Bahn – Tür, die so klang wie das Pfeifen eines nächtlichen Kurzwellensenders und mich damit in meine Kindheit zurückkatapultierte.

Wenn wir heute Radio hören, dann doch eigentlich nur noch per UKW. Andere Wellenbereiche wie Lang-, Mittel- und Kurzwelle werden vom normalen Hörer nicht mehr genutzt. In meiner Kindheit und Jugend war das deutlich anders. Der WDR sendete in seinen drei Programmen nur recht sporadisch die Musik, die ich hören wollte (wenn überhaupt, dann abends auf WDR 2), am Wochenende war total tote Hose und darum wechselte ich recht schnell zum englischen Soldatensender BFBS, der über den in Duisburg gut zu empfangenden UKW – Sender Langenberg kam und Radio Luxemburg, einem Mittelwellensender, der für damalige deutsche Verhältnisse fast revolutionär modern war. Natürlich war die akustische Qualität auf Mittelwelle nicht mit der Ultrakurzwelle zu vergleichen, aber das war auch egal. Zum einen hörte ich gute Musik und zum anderen war der Unterschied bei meiner Radio/Instamatic – Kombination, die mich lange Zeit begleitete, eh nicht so gravierend.

Beim abendlichen Mittelwelle – Hören fiel mir dann irgendwann auf, daß man Nachrichten und Musik aus fernen Ländern empfangen konnte. Das fand ich interessant und bald war so mein Interesse für Kurzwellenrundfunk geweckt. Plötzlich waren Informationen aus USA, der Sowjetunion und sogar China zu empfangen; auch mit relativ einfachen Radios. Von meinem Opa bekam ich einen kleinen Grundig Weltempfänger, der noch genauere Auflösung bot — und damit weniger dieses typischen Kurzwellenpfeifens.

Auch wenn heute die Zeiten des kalten Krieges lange vorbei sind, damals hatten wir in Deutschland doch latent Angst vor einem neuen Krieg und so war es hochinteressant, die Weltlage von BBC, Voice of America und Radio Moskau erklärt zu bekommen. Für mich lag dann die Wahrheit irgendwo zwischen den verschiedenen und teilweise sehr widersprüchlichen Versionen, die Nachts zu hören waren. Mein größer Wunsch, viele Jahre lang, war die elterliche Erlaubnis, eine große Kurzwellenantenne auf dem Dach montieren zu dürfen, die ich von Verwandten abgestaubt hatte. Sie liegt bis heute auf dem Dachboden, die Erlaubnis bekam ich nie.

Damit war auch ein weiterer Traum hinfällig: der des Amateurfunks. In den Zeiten vor Einführung des Internets, bevor überhaupt irgendjemand auch nur ansatzweise an Chats, MySpace und ähnliches dachte, war das die einzige Möglichkeit, um Kontakt mit Leuten in anderen Ländern zu haben. Für mich war es absolut faszinierend, daß man sich mit Menschen in Afrika, Amerika und Asien live unterhalten konnte, sich gegenseitig Geschichten erzählen und Erfahrungen austauschen. Als Jugendlicher war ich mir sicher: wenn nur genug Menschen per Funk Freundschaft miteinander schlössen, dann wären Kriege unmöglich — wer will schon Krieg mit seinem Kumpel. Vielleicht etwas naiv; obwohl ich bis heute Völkerverständigung, persönlichen Austausch, für die beste Wahl gegen Ausländerfeindlichkeit halte.

Heute kennt sicher kaum noch ein Jugendlicher dieses Pfeifen eines nicht ganz sauber eingestellten Senders. Wenn überhaupt, dann kommt die Musik über frequenzmodulierte Ultrakurzwellen — oder als MP3 über’s Netz. Und wenn wir ehrlich sind: noch nie standen uns so viele Informationen offen wie heute und ich glaube, daß noch nie die Mehrheit der Leute so wenig daran interessiert war wie heute. Eigentlich schade.

5 Gedanken zu „Spargel auf dem Dach“

  1. Ich habe früher mit meinem kleinen Kofferradio immer AFN Bremerhaven oder Europawelle Saar gehört. War hier in Ostfriesland zwar nicht so einfach, aber es waren halt die einzigen Sender auf denen regelmässig Country-Musik gespielt wurde.

    Und irgendwie hatten die ganzen Störgeräusche auch ihren ganz eigenen Charme.

    1. Das mit dem Charme ist wahr; man hatte viel eher das Gefühl Teil einer … geheimen, speziellen Verbindung zu sein, wenn man die atmosphärischen Störungen mit drin hatte. Heute ist man nur noch Teil der glatten Masse.

  2. oooh, jaaa… *seuftz*

    Europawelle Saar, kurz unter Radio Luxemburg (1440 oder so in der Ecke, Mittelwelle ziemlich weit oben jedenfalls ;)

    ODer auch Kurzwelle, da hat man sogar von zuB. Radio Schweden noch eine (Antwort-) Postkarte (genannt „QSL“) bekommen, wenn man denen geschrieben hat das (und was) man die gehoert hat…….

    Und heute? Danke, Radio Hamburg & der Rest der Einheitssossen-Dudeler *kotz*…

    c-v

  3. Na das ist doch mal ein schönes Thema…

    Was war das doch eine schöne Zeit, als man sich noch auf Kurzwelle per Morsezeichen unterhalten konnte und ich endlich meine Amateurfunklizenz in der Tasche hatte. Man hatte tolle Antennen auf dem Dach, hat sich Gerätschaften nich bei „Geiz ist geil“ von der Palette gezogen sondern in Ermangelung der industriellen Herstellung selber gabaut. Man traf sich mit gleichgesinnten vor Ort und in der Region und hat in einer Zeit als das Fido-NET die technische Revolution schlechthin war, selber am weltumspannenden Packet-Radio Netzwerk mitgebaut.

    Heutzutage gibt es Chats, Web 2.0 und was weis ich alles, all dies ist mittlerweile Normalität. Vielleicht findet das Web 3.0 ja wieder in der Kneipe statt, vielleicht brauchen Menschen ja doch noch den persönlichen Kontakt und vielleicht ist High-Tech nicht mehr selbstverständlich :-)

    –. .-. ..- . … … . es 73

  4. Ja, Ja,
    die einen vermissen das, was sie nie kennenlernen durften nicht, andere lernen erst etwas schätzen, wenn sie es vermissen und dazu gehört die Kurzwelle. Ohne Zweifel bietet „das Netz“ zahlreiche Vorteile und Annehmlichkeiten aber: wie ist das Geschrei doch gross, sei es zuhause oder im Büro, wenn „das Netz“ fehlt.
    Manche können ja dann noch nicht einmal mehr telefonieren. Und wie angenehm ist es doch, ein Radio für wenig Geld auf KW (ohne booten) einschalten zu können. Auch wenn viele Sender inzwischen ihren Betrieb eingestellt haben, es ist (und bleibt) immer ein erhabenes Gefühl die mit so einfacher Technologie die Stimmen ferner Länder zu hören. Und sollte mal wirklich ein „Wurm“ das Netz stilllegen, bleibt zu hoffen, dass die Sendeanstalten noch ein wenig analoge Technik besitzen, und damit den Informationsfluss aufrecht erhalten.
    Auch wünsche ich insbesondere den Verantwortlichen / Geldgebern in Deutschland, dass sie um den Nutzen der KW wissen oder wieder dazulernen. Damit die „Stimme Deutschlands“ auf der KW erhalten bleibt.

    Anna Marx

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