Zerrieben zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Das Schanzenviertel ist seit vielen Jahren im Wandel. Einst war es eine Neuentdeckung der alternativen Szene, heute ist es lange In – Viertel für alle; auch und gerade für die Touristen. Alles wird schicker, teurer und vom alternativen Wohnen ist nicht mehr viel übriggeblieben. Ich kann gut verstehen, daß es die verbliebenen Ureinwohner nervt; ich würde auch gern ruhig wohnen. Allerdings fürchte ich, daß man das Rad kaum wird zurückdrehen können.

Genauso ist es auch mit dem Schanzenfest. Längst überwiegen die kommerziellen Trödler und Getränkestandbetreiber. Es ist ein gigantischer Trödelmarkt ohne Standgebühren geworden. Ein Fest für alle, die die schnelle Mark machen wollen und ehrlicherweise wundere ich mich, daß in diesem Umfeld nicht ein paar Altschanzianer mal durch die Straßen laufen und kommerzielle Stände einfach umkippen. Mit Bullenärger wäre ja eher nicht zu rechnen. Aber wahrscheinlich ist auch die linksalternative Szene mittlerweile satt und bequem geworden, beschränkt sich darauf, ein paar antikapitalistische Plakate zu malen und richtet sich derweil in ebendiesem bequem ein. Denn sind wir mal ehrlich: die traditionelle Straßenschlacht nachts wird lange nicht mehr durch die Autonomen bestimmt, sondern durch jugendliche Krawalltouristen (wahrscheinlich aus Pinneberg oder Winsen), die einmal im Jahr auf die Kacke hauen wollen. Die alten Linken sind heute die, die die Feuer austreten — was ich ganz ernsthaft für eine gute Entwicklung halte.

Mir ist klar, daß es aus der Tradition des Schanzenfests heraus keine richtige „Marktleitung“ gibt und vieles einfach fließt. Trotzdem stören mich Stände wie dieser hier. Der hat nichts mit Nachbarschaftsfest und linksalternativer Kultur zu tun. Aber vielleicht bin ich einfach noch nicht altersmilde genug.

4 Gedanken zu „Zerrieben zwischen Anspruch und Wirklichkeit“

  1. Kieze kommen und gehen im Laufe der Zeit. Das ist in allen Großstädten so, sei es in Berlin, in Hamburg oder in Köln. Wenn man sich mit den einzelnen Städten beschäftigt erkennt man das sehr schnell. Da Schema ist auch immer das selbe. Sozial Schwache, Alternative, Studenten etc entdecke ein Viertel weil man günstig wohnen kann, ziehen hin und Gründen eine Szene. Plötzlich wird es cool und alle wollen hin. Was dann daraus wird sieht man in der Schanze oder in Kreuzberg oder in Köln – Ehrenfeld. Irgendwann zieht die Alternative Masse unter Prostet und Motzen weiter in ein neues Viertel und das ganze geht von vorne los.Es ist Schade was aus so Kiezen wie der Schanze oder Ehrenfeld in Köln wird, aber aufhalten lässt es sich nicht.

    Die Berichterstattung zum Schanzenfest und den „Krawallen“ fand ich mal wieder extrem einseitig…. Same Shi* every Year

  2. Vor einiger Zeit bin ich über einen Text gestolpert, die die Gentrifizierung am Beispiel Williamburgs in New York ausführlich schildert. Der Text ist sehr lang, ich fand ihn aber interessant, erläutert er doch die ganzen Abläufe und Zusammenhänge der Gentrifizierung. Vielleicht findet ja noch jemand gefallen dran: http://www.ruhrbarone.de/gentrification-in-new-york-city-die-williamsburgh-story/

    Ansonsten bedanke ich mich, als ansonsten stiller Mitleser, an dieser Stellle für die Einblicke ins Tour-Geschäft und hoffe auf weitere Berichte der kommenden Touren :)

    Simon

  3. Ich sehe diese Entwicklung mit den Ständen allgemein bei Flohmärkten… leider! Früher bin ich sehr sehr gerne auf Trödelmärkte gegangen weil man dort einfach günstig gebrauchte Dinge kaufen konnte… Habe dort schon sehr gute Schnäppchen gemacht… Leider ist es heutzutage so das auf fast allen Flohmärkten MINDESTENS 50% Kommerzielle Stände sind… und der Rest wirkliche Trödelhändler die ihr „Hobby“ ausleben… Man sieht dies leider auch bei den großen Märkten die nur 1x im Jahr stattfinden (Selbst beim größten Eintagesflohmarkt hier in Wuppertal geht der Trend leider immer mehr dahin… wobei die Betreiber überlegen die Kommerziellen Stände soweit einzudämmen das nur noch eine begrenzte Anzahl Kommerzieller Händler einen Stand Mieten können was ich Persönlich mehr als gut finde!)

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