Speicherstadtgedanken

Nachdem ich nach Hamburg gezogen war, hatte ich recht bald für anderthalb Jahre lang einen festen Job inmitten der Speicherstadt: ich war für die Technikbetreuung der Titanic – Ausstellung zuständig, die in alten Speichern auf dem Kehrwieder eingezogen war. Dort wo heute das Hamburg Dungeon residiert. Der Übergang zwischen Titanic und Dungeon fiel insgesamt in einen harten Schnitt im Dasein der Speicherstadt. Ich erlebte die Speicherstadt noch als Teil des Freihafens. Wir arbeiteten im Zollausland und dementsprechend mußten wir eng mit dem Zoll zusammenarbeiten, wenn wir Exponate oder Technik zu transportieren hatten. Auch standen bei uns noch die kompletten Gebäude unter Denkmalschutz. Alles was wir einbrachten mußte so montiert werden, daß es sich ohne Veränderung oder gar Schaden am Gebäude auch wieder entfernen lassen konnte. Manchmal hatten wir das Gefühl, daß es um jede einzelne Schraube Diskussionen mit dem Denkmalschutz gab. Dafür hatten wir eine wundervolle, knarzige Atmosphäre; die Räume rochen nach Kaffee, Tee und Gewürzen, die 100 Jahre lang in diesen Gemäuern umgeschlagen worden waren. Man mag es sich gar nicht vorstellen, aber gerade die Speicherstadt war in dieser Zeit noch der größte Umschlagplatz für Kaffee, Tee, Gewürze und Orientteppiche der Welt.

Nach anderthalb Jahren war alles zuende, wir zogen aus und hinterließen besenreine Speicherlager. Als ob nichts gewesen wäre. Und dann kam der Umbruch. Man hatte die Speicherstadt als angesagtes Viertel entdeckt, aus dem Freihafen herausgelöst. Die Zollzäune fielen und auch Teile des Denkmalschutzes. Infolgedessen regierte in „unserem Gebäude“ faktisch der Abriß: die Außenmauern blieben erhalten, aber der Innenausbau aus Holz wurde komplett herausgerissen, Betondecken eingezogen. Am Ende stand dort ein modernes Haus mit alter Fassade in dem es nach nichts mehr riecht; ganz bestimmt nicht mehr nach Tee, Kaffee und Gewürzen. Ich war während des Umbaus einmal dort und habe da sicher eine Viertelstunde in dem nackten Gebäude gestanden und geweint.

Heute gibt es in der Speicherstadt immer noch Orientteppichhandel, aber Gewürze, Kaffee und Tee sind verschwunden. Verschwunden ist auch die Rösterei, die ganz regelmäßig die ganze Gegend in Kaffeeduft setzte. Gekommen sind die Hippen dieser Welt: Designer, Agenturen, teure Restaurants und ein paar Partypeople. Die großen LKW – Ladeflächen sind heute schön eingeteilt in viele kleine PKW – Parkplätze mit Reservierungsnamensschildchen. Von einer Gegend, in der man Lagerfläche ab 5,00DM/m² mieten konnte, hat sich der Bezirk in ein edles Bürogelände mit astronomischen Mieten verwandelt. In ein erstarrtes Museum ohne echtes Leben mehr.

Vorgestern Abend bin ich quer durch die Speicherstadt gelaufen. Klar, für Touristen sind die heute angestrahlten Gebäude sicher schön. Aber der Duft ist weg. Es ist heute ein beliebiges Freilichtmuseum ohne echte Emotion. Und keine Beleuchtung kann das Strahlen der Speicherstadt bei Sonnenaufgang nach einer durchgearbeiteten Nacht ersetzen. Natürlich kann ich verstehen, daß heute viele wie wir damals in den großen Ladetoren zu den Fleeten hin sitzen und ihr Pausenbrot essen wollen. Aber ich finde es schade, daß die Holzböden und der ganze Charme der Gebäude dafür geopfert werden mußte. Übriggeblieben sind innen nur die heißgenieteten Stahlsäulen, ein einmal die Gebäude trugen, als Dekoelemente. Nett lackiert.

Mein Spaziergang hat mich gestern melancholisch gemacht. „Meine“ Speicherstadt hätte etwas besseres verdient gehabt, als in Schick zu erstarren. Ich hätte mir mehr Künstler gewünscht und mehr Handwerk. Echtes Leben. Und keine sich selbst feiernden, schlipstragenden Sesselpfurzer.

6 Gedanken zu „Speicherstadtgedanken“

  1. Glaub mir Markus, nicht alle Touris werden das schön finden … und der Kaffee aus oben erwähnter Rösterei war übrigens köstlich. Schade.

    Auch in unserer Region gibt es auch einige Projekte die im Rahmen der Regionale 2010 aufgepeppt werden. Den einen bekommt das gut, andere wiederum verlieren unwiederbringlich ihren Charme.

  2. Ich denke heute noch wehmütig an diese Zeit zurück :-) Wenn ich an den den 4. Stock mit den Überresten des „Vormieters“ denke (ich hab das in Pesos zählende für Mexiko bestimmte Taxameter aus den 50ern immer noch) wird mir ganz warm ums Herz…

    In der Tat ist der meiste Charme der Speicherstadt „wegsaniert“ worden, es ist mir ein Rätsel was Stadtplaner umtreibt wenn finanziell gut ausgestattete Investoren der Politik mit, nennen wir es mal „Entscheidungsbeschleunigern“, vor der Nase rumwedeln. Eine der Geschichte der Speicherstadt würdige und dem Denkmalschutz gerechte Umkrempelung des Viertels hätte sein müssen. Aber Kunst und Handwerk sind halt nix für Schlipsträger und Investmentbänker :-(…

    Schade drum.

  3. es ist schon schlimm wie alte Bausubstanz einfach zerstört wird um eine moderne Retortenstadt vom Reißbrett aus zu errichten. diesen Satz wollte ich eigentlich 1880 – also vor gut 130 Jahren schreiben -, da wurden die bis 300 Jahre alten Häuser der Speicherstadt geopfert.

    Aber Arbeiter und Handwerk waren halt nix für Schlipsträger und Investmentbänker

  4. Markus, glaubst Du *wirklich*, dass sich die Entscheider-Ebenen daran orientieren, das die Menschen
    ‚da unten‘ wollen?

    Schnell viel Profit machen, nach uns die Sintflut – aber vorher nehmen wir noch ein paar Millioenchen Abfindung mit, sollten wir doch gefeuert werden…

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