Stuttgart 1960

Heute war ich unter anderem auch in Stuttgart, bei einer Vorbesichtigung. Auf dem Rückweg nach Hause wartete ich eine halbe Stunde am Bahnhof auf meinen Zug und während ich da so saß und mich umschaute machte ich mir so meine Gedanken zum Stuttgart 21 – Projekt. Zugegeben, die Diskussion darum kann ja kaum noch jemand hören, aber nun war ich halt gerade mal da.

Wenn man ehrlich ist, dann sind weite Teile des Stuttgarter Bahnhofs pottenhäßlich. Klar, viele Bahnhöfe strahlen nicht gerade vor Schönheit, aber dieser hier ist für einen Großstadtbahnhof schon reichlich … um. Ein paar Gedanken zur Umgestaltung täten schon mal ziemlich Not. Und wenn ich mir jetzt das Umfeld des Warschauer Bahnhofs anschaue (der jetzt auch echt häßlich ist, aber seit Jahrzehnten fast komplett unter der Erde, so wie das in Stuttgart auch geschehen soll), dann finde ich die Idee des unterirdischen Bahnhofs ziemlich klasse. Man hat keine fette Gleistrasse mitten in der Stadt, sondern reichlich Platz. Ehrlicherweise fand ich die Idee des fast unsichtbaren Bahnhofs schon vor vielen Jahren toll, als ich das erste Mal in Warschau war.

In Stuttgart finde ich es schon bemerkenswert, daß sich viele, viele Jahre lang keine Sau für die Planungen des neuen Bahnhofs interessierte, aber dann das große Aufschreien kam, als die Bauarbeiten anfingen. Das ist eigentlich ja ein wenig spät und nur die Tatsache, daß Politiker rückgratschwache Menschen sind erklärt, daß da wieder herumgefeilscht wird. Eigentlich hätte man Gorbatschow zitieren müssen: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“

Auf der anderen Seite kann man sich natürlich fragen, ob ein so gigantisches Projekt wie der Komplettneubau eine sinnvolle Investition ist, wenn man notorisch herumstöhnt, daß ja kein Geld da sei. Aber diese Frage hätte man vor einigen Jahren auch schon stellen können und eine große Mehrheit der Bevölkerung war aber da zu diesem Zeitpunkt Eis essen, oder beim Kegeln; jedenfalls nicht demonstrierend auf der Straße. Also scheint das so wichtig nicht gewesen zu sein.

Ich selbst glaube schon, daß ein kostenexplosiver Neubau nicht in die heutige Zeit paßt. Auf der anderen Seite vermisse ich aber ganz stark Politiker, die eine klare Linie verfolgen und die genau so klar voranschreiten. Dieses Herumgeeiere ohne Eier jedoch, das finde ich ziemlich doof. Mindestens genauso doof wie den derzeitigen Zustand des Stuttgarter Bahnhofs.

10 Gedanken zu „Stuttgart 1960“

  1. Markus ich lese Dein blog ja mit Freude, aber hier ist es nicht ganz fair.. ich will das Faß S21 gar nicht aufmachen, aber Proteste und Widerstand gegen das Projekt gab es immer – seit ich von dem Thema weiß, weiß ich auch um die (im Bekanntenkreis große, wenn auch nicht aktive) Front gegen Stuttgart21. Ich bin aus dem Ländle, und vielleicht, ganz vielleicht, bin ich deshalb doch näher dran als manch anderer.

  2. Wenn Du schreibst, daß es eine große, aber nicht aktive Front dagegen gab … nun ja … dann ist das genau das Problem. Dinge ändern sich nicht, wenn man zuhause sitzt und sagt „Das finde ich jetzt nicht so gut.“

    Ich sehe aus städtebaulicher Sicht große Chancen in einem unterirdischen Bahnhof — wenn man es schafft, daß das Projekt finanziell nicht zu sehr aus dem Ruder läuft und die Finanzierer, sprich: die Allgemeinheit, an den Erlösen der Grundstücksverkäufe auch vernünftig zu beteiligen. Es wäre doof, wenn der Steuerzahler alles zahlt, der Reibach dann aber komplett woandershin fließt.

  3. Hallo Markus,

    ich lese Dein Blog immer mit Vergnügen (und Genuß, wg. der Fotos). Mit dem letzten Satz hast Du recht:
    „Es wäre doof, wenn der Steuerzahler alles zahlt, der Reibach dann aber komplett woandershin fließt.“
    Leider wird es so kommen, wenn das Projekt realisiert wird und wenn man weiß, was ohne Not schon alles vertraglich abgesichert wurde.

    Hiermit liegst Du allerdings, ähem, nicht ganz richtig: „In Stuttgart finde ich es schon bemerkenswert, daß sich viele, viele Jahre lang keine Sau für die Planungen des neuen Bahnhofs interessierte …“ Es hat sich tatsächlich mal ein Journalist die Mühe gemacht und in alten Akten gewühlt und dabei Erstaunliches zu Tage gefördert. Der Artikel vom 24.10.2010 ist (leider kostenpflichtig) hier zu finden:
    http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/513058
    Ich habe den Artikel seinerzeit abgespeichert, wenn Du willst, eine kurze Mail und ich schicke ihn Dir. 4 Seiten die sich lohnen.

  4. Hi Markus, inwieweit das Projekt Stuttgart 21 notwendig oder überflüssig ist, mag ich aus der Ferne nicht beurteilen. Ich sehe aber den allerorten gedeihenden Gigantismus mit wachsender Skepsis. Viel zu oft dienten solche Projekte dazu, einigen Persönlichkeiten ein „Denkmal“ zu setzen oder einen profitablen persönlichen Nutzen zu ziehen (siehe den Sumpf um die Messe Köln usw. usf.). Auf der anderen Seite lässt man Bestehendes verfallen oder verpasst die Chance der kontinuierlichen Anpassung an geänderte Rahmenbedingungen.

    Aus interessiertem kommunalen Erleben weiß ich auch, wie gut politische Verschleierung schon auf kleinster Ebene erfolgreich funktionieren kann. Da wird betroffenen Bürgern Sand in die Augen gestreut und bis jemand das Spiel nur halbwegs durschauen kann, werden unumkehrbare Fakten geschaffen. Das scheint – wie ich Werners Zeilen entnehmen kann – in Stuttgart nicht anders zu sein als bei uns in Overath. Kostenfreie Infos zu dem „erstaunlich zu Tage Geförderten“ aus Stuttgart:

    http://www.sueddeutsche.de/politik/umstrittenes-bahnprojekt-stuttgart-und-der-unheilbare-mangel-1.1013415

    Dann sollte man berücksichtigen, dass die neuen Medien heute den Bürgern ganz andere Möglichkeiten eröffnen sich zu informieren und zu organisieren, als das in den 90ern der Fall war. Bezüglich des „notorischen Stöhnens“ gebe ich Dir allerdings vollkommen Recht. Wenn sich 100 Menschen über den gleichen Umstand mokieren, so opfern viele ihre erste Empörung auf dem Altar ihrer Bequemlichkeit. Nur wenige (vielleicht 2 bis 5) werden aktiv – leider.

    Unter „aktiv werden“ verstehe ich jetzt übrigens nicht, auf Teufel komm raus einfach gegen alles zu sein (und sich damit evtl. vor den Karren anderer zweifelhafter Interessen spannen zu lassen), sondern sich aktiv zu informieren, sich kritisch in alle Richtungen mit dem Thema auseinanderzusetzen, eine fundierte Meinung zu bilden und dann nach demokratisch gangbaren Wegen zu suchen, etwas zu ändern.

  5. Der von Eva zitierte Artikel in der SZ ist mit dem von mir zitierten identisch. Offensichtlich hat die SZ denselben Artikel zweimal veröffentlicht und der ist jetzt einmal kostenpflichtig und ein anderes Mal gratis. Bizarr. Aber unbedingt lesen. Der Aha-Effekt stellt sich dann von alleine ein.

  6. Wow, den Artikel kannte ich noch nicht.

    Es ist schon auch nicht so, daß sich vor 2009 nicht der Widerstand geregt hätte. Daß die breite Öffentlichkeit erst ab einer gewissen Eskalation davon erfährt ist auch kein Wunder. Die Einsprüche gegen die Planfeststellung und Ähnliches verläuft eben in großen Teilen außerhalb der öffenlichen Wahrnehmung.

    @Markus: Ich gebe Dir in sofern Recht, daß das Projekt nicht per se schlecht ist. Es gibt Chance im Städtebau, und auch im Verkehr. Allerdings muss ich anmerken, die ursprünglichen Gesamtkosten in Höhe von 5 Milliarden D-Mark(!), sollte komplett durch die Vermarktung der freiwerdenden Flächen gedeckt sein.
    Inzwischen rechnen selbst die Befürworter mit bis zu 11,7 Milliarden EURO. Damit hat sich, für mich zumindest, die auch von dir eingebrachte Einschränkung schon bewahrheitet.

    aus Stuttgart

    Mitch

  7. Ach so,

    schön ist das Gleisfeld unseres Bahnhofs wirklich nicht. Es wurde ja auch seit 20 Jahren nicht mehr als das allernötigste daran gemacht, „es wird ja eh bald abgerissen“…

  8. Ich finde die Diskussion hier tatsächlich interessant. Als ich aus privaten Gründen vor etwa acht, neun Jahren regelmäßiger in Stuttgart war, waren die Baupläne des Bahnhofs in groben Zügen lange bekannt — selbst mir als Wochenendstuttgarter, der eigentlich in Hamburg wohnt. In meinen Augen hätte man also tatsächlich genug Zeit gehabt, schon im Vorfeld und nicht erst mit Abbruchbeginn auf die Straße zu gehen und so zu verhindern, daß bauliche Fakten geschaffen werden. Nach Lektüre des Artikels erkenne ich an, daß ein Kippen des Bauvorhabens schwierig geworden wäre. Ich glaube aber auch, daß die Vehemenz der letzten Wochen vor fünf, sechs Jahren sicher deutliche Veränderungen hätten bewirken können. Dazu kleben Politiker einfach zu sehr an ihren Sesseln.

    Und natürlich wollen sich mit solchen Bauten ein paar Leute selbst ein Denkmal setzen. Das hat es in der Geschichte schon immer gegeben und viele dieser Gebäude nennen wir heute Baudenkmäler; eben weil sie aus der Masse herausragen.

    Ich bin nicht bedingungslos für Stuttgart 21; aber ich sehe darin eine Menge Chancen — wenn die Finanzierung allgemeinverträglich umgesetzt werden kann.

  9. | Klar, viele Bahnhöfe strahlen nicht gerade vor Schönheit, aber dieser hier ist für einen
    | Großstadtbahnhof schon reichlich … um.

    Du kennst den Westbahnhof in Wien? Weia…

  10. Ich kenne den Bahnhof ja nun schon über eine Dekade – den Entwurf gibt es ja lange, vor Grube, vor Mehdorn, wahrscheinlich sogar vor Dürr, und mag den Entwurf des Bahnhofs als solchen sehr … und hier handelt es sich ja nur um 10% des eigentlichen Vorhabens, auch wenn er seltsamerweise zum Symbol der Wut wurde. Ich teile die Ansicht, das hier im Planungsprozess viel Ungereimtes und viele planerisch unsinnige Kompromisse gemacht wurden – und würde mir wünschen, man könnte dieses Projekt sinnvoller und kraftvoller umsetzen anstatt es ganz zu kippen. Die Idee aber, eine Infrastruktur unterirdisch zu verlagern und Raum in der Stadt zu gewinnen, finde ich nach wie vor unfassbar attraktiv. In Essen war kurz vor dem Bau des Limbecker Platz Einkaufszentrums durch Henn ein großes «Loch» in der Innenstadt und diese Luftigkeit, diese Freiheit, war phantastisch – und jetzt natürlich leider total verbaut durch eine graue Metallfassade. Städte brauchen visuellen Freiraum, Räume, Plätze… und gerade in der Ecke von Stuttgart wäre das doch eine Wohltat.
    Ich bin ja ein Freund der meisten grünen Ideen – aber fände es ein seltsames Paradox, wenn sich die Grünen hier nicht als Fortschrittspartei sondern als Bremser erwiesen und die Chance verpassen würden, der ganzen verfahrenen Sache nicht binär ein JA oder NEIN vorzusetzen, sondern viel mehr mit einem neuen Ansatz am Runden Tisch mit allen Beteiligten einen neuen Drift und neue Energie zu geben.

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