Tag 3: auf nach Khabarovsk

Morgens früh, so früh, daß es im Hotel noch gar kein Frühstück gab, zogen wir auch schon weiter, um die letzte Etappe unserer Anreise hinter uns zu bringen. Damit wir was im Magen hatten, fuhren wir noch an einem Frühstückscafé vorbei. Überall in Rußland laufen in den Restaurants, auch in recht teuren, Fernseher (oft sogar mit Ton und manchmal auch mehrere Programme parallel, was echt nervig ist), dort gab es zum Frühstück eine russische Boxvariante, bei der offenbar mehr oder weniger alles erlaubt war und es recht blutig herging. In mir weckten diese Bilder, zu denen übriggebliebene Mietdamen und sehr kräftige Polizisten aßen, das Ressentiment des bösen Russen, wie es Menschen meiner Generation im Kalten Krieg eingeimpft wurde. Diese Kämpfe befremdeten mich auf der einen Seite, auf der anderen merkte ich aber auch, daß sich mein Stammhirn durchaus angesprochen fühlte und mitging. Ein komisches Gefühl.

Komisch sind für mich auch diese ganzen Uniformen hier, diese ganzen Mützen mit überhohen Spiegeln, die man im Westen eher als Karrikatur sehen würde, hier aber Autorität ausstrahlen sollen. Überall Wachmänner, Securities, die stiernackig nach Autorität lechtzen. Das ganze Machogehabe geht mir jetzt schon mächtig auf den Geist.

Auch dieser Transport vom Hotel zum Flughafen war nicht echt durchdacht. Zwar gab es diese Mal einen Bus, der hatte aber faktisch keinen Laderaum, sodaß sich das Gepäck auf und zwischen den Sitzen stapelte. Na ja.

Oben dann mal ein Teil unseres Gepäcks beim Ausladen aus dem Bus am Flughafen. Kommt schon was zusammen. 27 Teile plus Handgepäck.

Passend zu den Kämpfen im Fernsehen dann das Einchecken; fast gibt es eine Prügelei. Ein bulliger Typ, Frau und Kind hinter sich herschleifend, drängelt sich massiv vor und übersieht aber, daß wir als Gruppe einchecken, sich das Vordrängeln nicht lohnt und er im Gegenteil mit seinem Gepäck jetzt im Weg ist, weil wir ja alle Teile aufgeben müssen. Als einer der Mönche versucht, ihm das freundlich zu erklären, wird der Stiernacken direkt handgreiflich. Der Promoter übersetzt und beruhigt. Der Nacken zieht ab.

Wir fliegen entlang der chinesischen Grenze, der östlichen Grenze Chinas; das ist schon bemerkenswert. Für mich war Sibirien immer eine kleine, abgeschlagene Gegend im Nordosten Rußlands. Daß Sibirien faktisch die komplette Gegend östlich des Urals ist und damit der mit Abstand größte Teil des gigantischen russischen Staates, geht mir erst jetzt auf. Wenn man sich das mal anschaut versteht man plötzlich überhaupt gar nie nicht mehr, wie man als Feldherr auf das schmale Brett kommen kann, Rußland einnehmen zu wollen. So viel Soldaten und Material kann man doch gar nicht haben.

Beim Anflug auf Khabarovsk überfliegen wir eine bizarre Gegend, die ich leider nicht photographieren kann, weil ich nicht am Fenster sitze. Der Amur, Grenzfluß zu China, windet sich auf vier, fünf Kilometern Breite mit unzähligen Neben- und Altläufen durch die Landschaft und ändert auch regelmäßig sein Hauptbett, was genauso regelmäßig zu Grenzdiskusionen zwischen China und Rußland führt. Ein echter, wilder, ungebändigter, natürlicher Fluß, der von oben aussieht wie ein Flußdelta, aber eben doch nur der normale Flußverlauf ist. Toll.

Das ist also unsere erste Spielstätte dieser Tour quer durch Rußland, das Musiktheater Khabarovsk. Wir sind jetzt neun Zeitzonen von zuhause entfernt. Wenn die Kollegen in Crailsheim um 10:00 Uhr konzentriert an ihren Schreibtischen sitzen, oder in Kastelruth gerade Halbmittag ist, haben wir 19:00 Uhr und damit Showtime. Was die Kommunikation nicht immer vereinfacht.

Im Theater recht guter Service und sogar freundliche, lächelnde Menschen, nur das örtlich gestellte Pult, auch nur eine Hog 1000, kennt die ebenfalls örtlich gelieferten Futurelight – Movingheads nicht, es müssen Fictures geschrieben werden, was aufhält.

Plötzlich wildes Geschreie Backstage. Einer der örtlichen Schauspieler, schon etwas gealtert und mit offensichtlichem Egoproblem regt sich über zehn Minuten sehr lautstark darüber auf, daß er sich heute nicht komplett frei in „seinem“ Haus bewegen und einfach das Catering plündern darf. Dabei wollte er doch seiner deutlich jüngeren Begleitung beweisen, daß er ein echter Star ist. Sehr lustig.

Und das ist sie nun, unsere erste Show. Whow. Es ist alles sehr gut gelaufen und so weit von zuhause weg jubeln die Menschen der Truppe euphorisch zu. Das ist schon komisch und schön. Und damit dachten wir, daß es dann schon werden würde in Rußland, daß es alles immer so gut laufen würde wie in Khabarovsk. Nun. Das war — soviel kann ich nach zehn weiteren Tagen schon sagen — doch etwas naiv. Aber davon dann in den nächsten Tagen, wenn ich wieder Internetzugang habe. Wir sind nach der Show erst einmal noch lecker essen gewesen, haben ein wenig gefeiert und das hatten wir uns nach der langen Reise ja auch verdient.

Bilder des Tages

4 Gedanken zu „Tag 3: auf nach Khabarovsk“

  1. Wer hätte gedacht, dass es in Russland doch so zugeht, wie man es von den Stereotypen aus dem Fernsehen kennt. Da muss man sich doch wirklich wundern, vor allem da die Russen sich nach außen doch immer so weltoffen geben wollen.
    Ich drücke euch die Daumen, dass ihr keine Begegnungen dieser Art mehr habt. Und wenn doch mal wieder einer kommt, der denkt er dürfte alles, dann muss man das wohl stoisch über sich ergehen lassen.
    Ich wünsch euch auf jeden Fall noch viel Spass und vor allem Erfolg.
    Grüße aus Deutschland

  2. Ich galube, das sind die ersten Seiten Deines Buches „Meine Reise nach……“. Warte mit Spannung auf die nächsten Seiten…..

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