Liebesparade

Musik in ohrenbetäubender Lautstärke wird am Samstag aus 200 gigantischen Lautsprechern auf die Ohren der erwarteten eine Million Loveparade – Besucher schallen. Der erste Soundcheck gestern Nachmittag zeigte, wieso Gesundheitsexperten raten, nicht ohne Ohrenschützer zur Loveparade zu gehen. Allein die Musikanlage verfügt über eine Million Watt. Zum Vergleich: Autoradios haben im Schnitt eine Leistung von 100 Watt — und das ist schon sehr laut. [……] Große Rockkonzerte kommen mit maximal der Hälfte der Technik aus. ……

Rheinische Post Duisburg, 23.07.2010, Seite C1

Wenn man eine Großveranstaltung in die Provinz bringt, dann muß man auch mit provinziellen Meinungen rechnen. Mit dieser Meldung machte jedenfalls heute die Rheinische Post den Duisburger Teil auf. Ich bin zur Zeit bei meinen Eltern in Duisburg, habe mir den Aufbau der Loveparade gestern mal angesehen und fand ihn angemessen. Auf keinen Fall war er übertrieben. Die Kollegen aus Westfalen haben ja von ihrem Kunden sowieso einen begrenzten Etat zur Verfügung. Aber auch ein technischer Laie könnte auf den Gedanken kommen, daß das mit der aufgebauten Technik schon hinkommt. Wenn ein Autoradio also mit 100W einen recht kleinen Raum für vier Personen versorgt, dann kommt man auf 25W/Person. Bei einer Million Besuchern ergeben eine Millionen Watt genau 1W/Person. Ganz schön leise eigentlich. ;-)

Und mal abgesehen davon, daß ich mir nicht sicher bin, ob die großen TopActs tatsächlich mit der Hälfte des aufgebauten Materials unterwegs sind, oder vielleicht doch mit mehr: ich kenne keine Liveshow mit einer Millionen Besuchern.

Sehr lustig wird’s dann bei den Ohrenschützern: keine Ahnung welche „Experten“ raten, nicht ohne Ohrenschützer zur Parade zu gehen (ehrlicherweise würde ich sie auch mal mitnehmen), der zwei Seiten weiter zu diesem Thema befragte Chefarzt einer Duisburger HNO – Klinik reagiert jedenfalls recht locker. Er sähe jetzt kein so großes Problem beim Besuch der Loveparade; da solle man ruhig mal hingehen und feiern. Viel größere Gefährdung ginge von Dauerbelastungen über viele Jahre aus. Die meisten würden sich ihre Gehörschäden während der Arbeit zuziehen. Jahrzehntelanges Arbeiten in lauten Maschinenhallen wären deutlich belastender, als ein Wochenende bei Techno.

Ich war vor vielen Jahren mal bei der Parade in Berlin. Nicht, daß ich da extra hingefahren wäre, Techno ist nicht so mein Ding. Aber da ich zu diesem Zeitpunkt in der Hauptstadt wohnte, mußte ich mir das auch mal ansehen. Die Stadt drumherum funktionierte eigentlich ganz gut und die Veranstaltung war halt eine von vielen Events, die jedes Jahr durch die Straßen gehen. Hier in Duisburg ist für morgen quasi der Notstand ausgerufen. Die halbe Innenstadt ist gesperrt, eine Autobahn auch, der Zug – Fernverkehr wird weiträumig umgeleitet (es fahren nur Regionalbahnen, keine ICEs, keine ICs), U-Bahn – Stationen sind dicht.

Auch wenn ich aus Duisburg bin, oder vielleicht gerade weil ich aus Duisburg bin muß ich festhalten: die Stadt hat zwar eine halbe Millionen Einwohner, ist aber trotzdem tiefste Provinz. Eine Veranstaltung wie die Loveparade gehört hier einfach nicht hin. Da ist der gemeine Duisburger schlicht überfordert. Der fühlt sich angegriffen. Vor zwei, drei Tagen las ich, daß 68% der Bevölkerung gegen diese Veranstaltung sei. Was der Bauer nicht kennt, daß frißt er nicht. Ich geh‘ trotzdem morgen mal schauen.

Ein Gedanke zu „Liebesparade“

  1. *autsch* – der Artikel liest sich ja nunmehr schon fast hellseherisch…

    Eine Bekannte von dort rief mich am Nachmittag an, sie bestaetigte Dein „die meisten Eingeb^H^H^Hheimischen waren dagegen“ – der dortige Buergermeister hat’s durchgedrueckt und war auch selber sehr aktiv bei der Sponsorensuche…

    Ist der Buergermeister nicht auch der oberste Dienstherr der das ganze genehmigenden Dienststelle? Auaha… Du schreibst ja selber in Deinem Zitat von 1 Mio. erwarteten Besuchern (die Zahl habe ich heute mehrfach in den verschiedensten Vorhersagen gehoert/gelesen) – hmmm…

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